kein festes Genre

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Carol Rose
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kein festes Genre

Beitrag von Carol Rose » Mi Mai 20, 2020 1:03 pm

Grundsatz für mich:

EMOTION vor KONVENTION

Über diese Besonderheit würden sich nun Produzenten den Kopf zerbrechen, um ihren Erfolg fürchten.
Kommerzialität bedeutet ja auch die Vorausberechenbarkeit.
Diesen Ansatz lege ich für mich nicht in irgendeinerweise als Parameter fest.
Ja, ich kann jetzt schon sagen, dass Salammbo auch als Hörspiel unkommerziell werden wird.
Dafür bricht es zu viele Konventionen und hält sich an keiner Struktur, die einem Genre zugeordnet werden könnte.

Es beginnt fast wie ein Kinderbuch, dann wie ein Unterhaltungsroman, wechselt dann ins dramatische, erotische,
fachliche, politische und historische, sowie auch als Gegenwartsroman kann Salammbo funktionieren und
einen Fußabdruck sein, um zu erspüren, wie wir mit der Kategorie Geschlecht bis zum Zeitpunkt
der Veröffentlichung des Werkes umgegangen sind.
Salammbo kann, aus Sicht des Nichtverstehens, auch durchaus als Satire gelesen werden.

Der Roman hat verschiedene Handlungsstränge, sowie verschiedene Zeitachsen (1858, Gegenwart, 2077)

Auch wurden biographische Erfahrungen verarbeitet sowie immer wieder reale Ereignisse aus Gesellschaft und Politik.

Einer der Highlights des Romans und dann auch der Adaption in ein Audioformat dürften aber die Verbindung zwischen
lyrischen Texten und Erotik sein, sowie auch die gleichzeitig immer damit verknüpfte Kritik an die Gesellschaft, die mit Gegebenheiten
aus der Geschichte verknüpft wird. Sozusagen gestöhnte, gehauchte tiefsinnige Gesellschaftskritik kann Salammbo auch ohne weiteres bieten.

Salammbo dürfte für viele interessant sein, um daraus zu zitieren, da der Text innerhalb von 7 Jahren entstand und vor allem in den Passagen des Erzählers sehrverdichtet ist.

Über all diesen Spielarten und Lesarten die möglich sind ist Salammbo auf jeden Fall eines:
Ein Manifest, dass sich auf die Fahnen schreibt, die Sexualität zu befreien, und im besonderen die Sexualität der Frauen.
Salammbo ist daher automatisch als feministisches antipatriarchales Werk zu verstehen.
Aus diesem Ansatz heraus spielt auch Transsexualität und Intersexualität eine Rolle, da Diskurse über diese Themen
eine Folge davon sind, Geschlecht zu einer politischen Kategorie zu machen, wie wir es auch bei Frau und Mann sehen.

Der Aufschrei von Salammbo, der sich gegen jegliche Konformität und Norm richtet, findet sich als Metapher selbst
in der Stilistik Salammbos, die auch keiner Norm gerecht werden will.

Leser_innen, die nicht an kulturelle und politische Prozesse und Veränderungen interessiert sind,
dies ist ja auch eine legitime Einstellung, für diese Lesser_innen ist Salammbo aber sicher ein Weg
um ihre Selbstfindung zu unterstützen.
Als Ziel dieses Findungsprozesses, an deren Ende ein Ablegen von Komplexen, Verdrängungen, Ängsten und Schuldgefühlen steht,
liegt automatisch eine befreite Sexualität und damit ein erfüllteres Leben. Denn ein Mensch, dessen Sexualität ich
einschränke, wird immer ein Mensch sein, der sich nicht richtig leben kann.
Dass ich über das Geschlecht und Geschlechtswissen reden muss, wenn ich auch die Sexualität eines Menschen verstehen will,
versteht sich bei dieser Betrachtung von selbst.
Dass ich, wenn ich die Sexualität der Frauen befreien will, auch Sexualität im Roman darstellen muss, darüber schreiben muss,
und das ohne Maulkorb, ist obsolet zu erwähnen, denn ich kann mich nicht selbst einer Selbstzensur unterziehen, und mich
damit gegenüber denjenigen opportun verhalten, die ich im Roman dann beschuldige, mich nicht frei entfalten zu lassen.
Daher ist Salammbo automatisch auch ein Tempel für Beziehungsberatung.

Die Handlungsstränge, sowie in weiten Teilen auch theoretische Abhandlungen mögen postfaktisch wirken,
sind aber genau das Gegenteil. Sie sind aus der Dynamik der Nichtzugehörigkeit einer sogenannten Transsexuellen
zu dieser unserer "normalen" Gesellschaft erwachsen,
die ihre Welt aus der Sicht erklärt, die für andere, die in dieser Frau und Mann "spielen", verborgen bleiben.
Diese Erklärung wurde durch Einflüsse zum wachsen gebracht, die nur real waren und damit Fakten sind.

Die Handlungsstränge sowie auch Erzähltexte stellen Erklärungen dar, die von einem Menschen,
von der Gesellschaft "transsexuelle Person" genannter Mensch, für andere als Orientierung dienen sollen.
Diese erklärende Person ist der Autor selbst. Er bedient sich dabei gerade nicht der Aushebelung der Rationalität,
sondern verlässt diese nur scheinbar, weil die Norm diese Ausführungen nicht mehr als Fakten begreifen will und kann.

Aus der NORMalwelt betrachtet, ist Salammbo auch völliger Irrsinn - eine gute Metapher, wie weit die NORM von
der Realiltät entfernt ist.



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